raumcollagen in porto



Wenn man über die Arbeit eines Architekturbüros schreiben will, so kommt man als Kritiker schnell in die doppelte Zwickmühle: Man ist weder unabhängig noch gelingt es, alle beachtenswerten Aspekte der Arbeit in einen Text zu packen. Beide Probleme verschärfen sich, wenn das ganze Schaffen eines Büros porträtiert werden soll. Und leider funktioniert Architekturkritik nicht wie das Lob oder der Verriss einer Theateraufführung. Denn das Interesse des Architekturkritikers an der Architektur ist – soll es nicht in kritische Kälte umschlagen – der Nährboden für ein ge- wisses Mass an Befangenheit: Man darf exklusiv Gebäude besichtigen, wird hofiert, zum Essen eingeladen.

Im letzten Winter hat der hier Schreibende die drei für das Büro FALA namengebenden Architekturschaffenden [F]ilipe Magalhães, [A]na [L]uisa Soares und [A]hmed Belkhodja in Porto besucht. Aus der Recherchereise für diesen Artikel wurde auch ein privater Schreibauftrag für eine bekannte monographische Zeitschrift.


Der Instafant

Alle drei Architekten haben eine mehr oder weniger nahe Beziehung zur Schweiz; Belkhodja hat in Zürich bei Adam Caruso studiert, und alle trafen sich bei der Arbeit in Basel. Abgesehen von diesen vielleicht eher losen Verbindungen zur Schweiz kennt man FALA hier vor allem aufgrund ihrer Popularität auf Social Media. Ihr Account auf Instagram hat weit mehr als 40 000 Follower, auf Facebook ist FALA ebenfalls sehr präsent.

«Instagram» ist in diesem Bericht sozusagen der sprichwörtliche Elefant im Zimmer. Denn kaum ein Kollege, eine Kollegin, die, auf FALA angesprochen, nicht sofort erwähnen würden, das Büro sei ja vor allem ein «Instagram-Phänomen» und man sei skeptisch, ob ihre Architektur denn überhaupt halte, was sie verspricht: Die collageartigen Perspektiven und Bilder, die online zu sehen sind, würden ja vor allem die schnelle Aufmerksamkeitsspanne des Mediums bedienen. Soviel vorneweg: FALAs Architektur hält.

Die drei jungen Architekturschaffenden verdanken ihren Erfolg auch Umständen, die nur indirekt mit Social Media verbunden sind. Magalhães, Soares und Belkhodja eröffneten ihr Büro zur rechten Zeit am richtigen Ort. Einige Lesende erinnern sich vielleicht noch an unser Porto-Heft, das just zu jenem Moment erschienen ist, an dem viele portugiesische Architektinnen und Architekten angesichts der Wirtschaftskrise laut über die Verlagerung der eigenen Praxis ins Ausland nachdachte. Magalhães und Soares gehören jener Easy-Jet-Generation an, die ihr Auskommen im Ausland suchen musste.


Goldene Visa

Ihr Büro gründeten sie 2013, gerade als es langsam wieder bergauf ging. Schon in unserem damaligen Porto-Heft berichteten wir über Kleinstprojekte, die oft in eigener Initiative von Architekturschaffenden das wiedereinsetzende Momentum des Tourismus zu nutzen wussten. Büros wie Pedra Líquida, Menos é Mais und viele andere kauften Altstadthäuser, renovierten und richteten sie zu Beginn des Airbnb-Booms für die Beherbergung her. Aus den anfänglich kreativen und manchmal sozial ausgerichteten Mikro-Initiativen wurde bald staatlich geförderter Mainstream. Stark gelockerte Kündigungsregelungen im Mietrecht – bis dahin waren Mietverträge kaum kündbar – und die Vergabe von «goldenen Visa» führten nicht nur zu Hauskäufen durch vermögende Ausländer, sondern auch zu einer starken Spekulation in den Städtetourismus-Brennpunkten Lissabon und Porto. Von diesem Boom haben FALA wie viele andere Architekturschaffende profitiert.

Der Erfolg mit dieser Welle bietet zwei Lesarten. Zum einen konnte so der bauliche Niedergang vor allem der Altstadt von Porto aufgehalten werden. Denn bereits vor der Krise zogen viele Bewohner in die Peripherie, auf der Suche nach mehr Komfort, Privatheit und Parkplätzen, was zum Zerfall vieler Häuser führte. Staatliche Programme vermochten diese Entwicklung nicht aufzuhalten, private Initiativen – ob spekulativ oder engagiert – waren somit entscheidend für den Erhalt des Stadtbilds. Zum anderen ist nun Portos Altstadt in einem fast unerträglichen Ausmass touristifiziert und gentrifiziert.


«Generifizierung»

Architektur geniesst in Portugal trotz des an Verklärung grenzenden internationalen Renommees nur wenig Prestige. Die meisten Leute bauen ohne Architekten, sie brauchen sie nur für die Unterschrift auf dem Baugesuch. Entsprechend sind die Honorare für Architekturleistungen miserabel.

Verbunden mit der für Porto typischen Auftragsart kleiner Umbauten oder Einfamilienhäuser hatte dies einige entscheidende Konsequenzen für FALAs Arbeit. Bei vielen Aufgaben spielt das Design-Brief nur eine untergeordnete Rolle. Die in Portugal aufgrund einer noch immer vorherrschenden kulturellen Prägung eher generische Umsetzung des Programms Schlafen-Körperpflege-Kochen-Essen-Fernsehen erfährt durch den angestrebten Wiederver- kauf eines Gebäudes eine weitere «Generi- fizierung» – die Wohnung muss ja für einen unbekannten Käufer passen. Entsprechend wirken viele von FALAs Umbauten bei aller räumlichen Qualität wie das Durchdeklinieren gewisser Themen: Abtrennung der Nebenfunktionen von einem Hauptraum, Zonierung des Grundrisses, Öffnen und Inszenieren der Ausblicke auf einen privaten Hof.


Die Handschrift
FALA haben aufgrund dieser Art von Aufgabe ein eigenes Universum von Formen und architektonischen Elementen geschaffen. Durch knapp abgefasste Design-Briefs, durch finanzielle und auch zeitliche Knappheit waren sie gezwungen, ihre Entwurfsthemen einzuschränken und in einem gewissen Sinn zu standardisieren. Viele der von FALA entworfenen architektonischen Elemente wirken wie in den Raum gestellte Möbel, dies gilt für Kochinseln und Sanitärmobiliar ebenso wie für Stützen und Wände.


Verbunden sind diese Elemente durch eine klar erkennbare Handschrift, und das ist sicher mit ein Grund, weshalb die Arbeiten von FALA auf Social Media so populär wurden. Doch die Beschränkung und Wiederholung in der Vielfalt hat auch dazu geführt, dass die jungen Architekten innerhalb ihres Universums ein ausgeprägtes Gefühl für den Raum entwickelt haben. Die zweidimensional am Computer entworfenen Collagen sind auf das Auge so wirksam wie kaum eine explizit räumlich am Modell entworfene Komposition. Und obwohl viele der Umbauten konstruktiv eher konventionell mit Gipsständerwänden und Farbe umgesetzt sind, freut sich das Auge über die vorund zurückweichenden Kurven, Flächen, Quadrate und Kreise.

Gerade der Kreis: Wenn er in der aktuellen Architektur in vielerlei Gestalt auftaucht, so folgt er in der Arbeit von FALA einer bestimmten Geschichte und einem bestimmten Zweck. Der erschloss sich dem Schreibenden mit einem Blick auf jene Hoffassade, die FALA wohl so bekannt gemacht hat – jene mit den vertikalen grünen, schwarzen und weissen Natursteinstreifen (Bild im Inhaltsverzeichnis S. 4). Die darüber schwebende, runde Marmortafel haben die Architekten an ihre Stelle gesetzt, weil die auffällige Form den Blick nach rechts oben lenkt und ihn so von der zufälligen Asymmetrie wegzieht, die in den Worten von Belkhodja durch den kleinen Kamin des Nachbarhauses so unglücklich geraten ist. Tatsächlich zentriert der Kreis die ganze Fassade in einem dynamischen Prozess der Wahrnehmung, wie ihn Rudolf Arnheim beschrieben hat. Diese Art von Blickregie findet sich in vielen Projekten. Dass sich dahinter mehr als nur Oberflächen-Dramaturgie verbirgt, zeigen mehrere Neubauten in Planung und Ausführung, die alle eine eigene Räumlichkeit entwickeln werden.

Neue Kreise

Der Kreis ist in der Portuenser Architektur ein wiederkehrendes Element. Er findet sich bei vielen Bauten der stark vom Art déco geprägten anonymen modernen Architektur aus der Zeit zwischen 1930 und 1950. Und er ist ein grafisches Element, das viel über das Selbstverständnis von FALA aussagt: Wie die bunt moder- nistischen, stark grafisch wirkenden Fassaden der darauffolgenden 1950er, 1960er und 1970er Jahre gehört er zum Hintergrundrauschen eines anonymen Bauens, aus dem FALA weniger die Motive als vielmehr die Inspiration schöpft.

Portos Architektur aus der Zeit zwischen 1930 und 1970 ist Ausdruck des Rückzugs ins Private angesichts der staatlichen Autorität während der Salazar-Dikatur. Ähnlich wie die fröhlichen Bauten aus diesen dunklen Jahren wirken FALAs Entwürfe letztlich affirmativ, als stillschweigender Ausdruck herrschender Verhältnisse. Doch wer einmal auf dem Portal von AirBnB nach einer Unterkunft (nicht nur) in Porto gesucht hat, der hat sich wohl über die immer gleichen Vasen, Wanddekorationen und Kunststoff-Holzstühle geärgert. Gegen diese erstickende Gewöhnlichkeit wirken FALAs Entwürfe wie ein immunisierendes Antidot – gegen eine Globalisierung wohlgemerkt, deren Kinder Magalhães, Soares und Belkhodja ja selbst sind.

Wie in der Bewertung der Prozesse, die Portos Stadtzentrum verändert haben, gibt es eine weitere, andere Perspektive auf die hier vorgestellten Arbeiten – eine Perspektive, die nicht nur des schönen Schlusses halber an den Anfang dieses Textes zurückführt. Im Kontext einer in Portugal nach wie vor homogenen Lebensweise und Kultur – an deren Stelle langsam die homogenisierende (Un-) Kultur der Globalisierung tritt – sind die drei Architekten eingebettet in lokale Netzwerke aus Bauherrschaften, Mitarbeitenden, Freunden, Familie. Diesbezüglich unterscheidet sich die Arbeit von FALA nicht wesentlich von derjenigen des Kritikers, der ihre Arbeit während ein paar Tage begleiten und kennenlernen durfte.



tibor joanelly, 2019

- werk, bauen + wohnen, november 2019